Analyst von umstrittener Studie zu Impfnebenwirkungen stammt aus Querdenker-Milieu

Vergangene Woche sorgte eine kleine gesetzliche Krankenkasse für ordentlich Wirbel: Einer eigenen Analyse zufolge komme es viel häufiger zu Impfnebenwirkungen als bisher bekannt. Nach SWR-Recherchen wurde die Auswertung jedoch von einem Mann gemacht, der sich im Querdenker-Milieu bewegt.

Die vermeintlich alarmierende Datenanalyse zu bislang möglicherweise unentdeckten Impfnebenwirkungen, mit der die gesetzliche Krankenkasse BKK ProVita seit vergangener Woche für Schlagzeilen sorgt, hat nach SWR-Recherchen ein in der Querdenker-Szene gefragter Interviewpartner durchgeführt. Der Urheber der Auswertung, Tom Lausen, fiel dort schon mehrfach mit fragwürdigen Methoden und vor allem stimmungsanheizenden Analysen auf. Im Dezember veröffentlichte er im Rubikon-Verlag das Buch: „Die Intensiv-Mafia: Von den Hirten der Pandemie und ihren Profiten“.

Bei einem SWR-Interview mit dem zu diesem Zeitpunkt noch Vorsitzenden der Krankenkasse und Unterzeichner des Alarmbriefs an das Paul-Ehrlich-Institut, Andreas Schöfbeck, stellte Schöfbeck vergangenen Montag Tom Lausen als Datenanalyst der BKK ProVita vor. Während des offiziellen Video-Interviews präsentierte und erläuterte Lausen seine Auswertungen.

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Umstrittene Studie zu Impfnebenwirkungen: Analyst aus Querdenker-Milieu

Ob es sich bei den vermeintlich untererfassten Nebenwirkungen nach einer Coronaschutzimpfung um schwere oder leichte Fälle handelt, wurde im Interview mit dem SWR nicht ersichtlich. In der Analyse wurden Diagnose-Codes untersucht, die Ärzte zur Abrechnung mit der Krankenkasse verwenden. Das bedeutet, dass alle Fälle, bei denen sich Patienten nach der Impfung zum Beispiel mit grippeähnlichen Symptomen haben krankschreiben lassen, in der Analyse mit ernsthafteren Nebenwirkungen gleichgestellt werden.

Ebenso ging aus der vorgestellten Analyse keine Unterscheidung von Verdachtsfällen und tatsächlich bestätigten Nebenwirkungen nach einer Impfung hervor. Wie die Bundesärztekammer auf SWR-Nachfrage mitteilt, handle es sich bei solchen von Ärzten vorgenommenen Meldungen „um Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, bei denen im Einzelfall der Kausalzusammenhang nicht belegt ist”. Erleide eine geimpfte Person im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung Symptome, so könne es sich auch um ein rein zufälliges Zusammentreffen handeln.

Dass der in der Querdenker-Szene bekannte Tom Lausen die Analyse durchgeführt hat, wurde von der Kasse öffentlich an keiner Stelle thematisiert. Und auch Tom Lausen hielt sich in Zusammenhang mit der Veröffentlichung bislang, abgesehen von der Teilnahme am SWR-Interview, vollständig im Hintergrund, was angesichts seiner sonst zahlreichen Interviews in sogenannten alternativen Medien überrascht.

Beteiligte lassen Nachfragen unbeantwortet

Fragen dazu, wie die Zusammenarbeit der Krankenkasse mit Tom Lausen zustande kam und ob er dort schon länger als Datenanalyst tätig sei, ließen sowohl Tom Lausen, die BKK ProVita als auch Andreas Schöfbeck gegenüber dem SWR unbeantwortet. Tom Lausen antwortete, er fordere, „dass der SWR endlich seine Arbeit aufnimmt“. Seine Person sei dabei „völlig unwichtig“.

Der Verwaltungsrat der BKK ProVita entließ den bisherigen Vorsitzenden Andreas Schöfbeck am Dienstag mit sofortiger Wirkung, nahm den öffentlichen Brief an das Paul-Ehrlich-Institut von seiner Webseite und löschte auch alle weiteren zuvor hier veröffentlichten Pressemitteilungen dazu. Den vom SWR gestellten Fragenkatalog ließ die Kasse trotz mehrmaliger Nachfrage unbeantwortet, schickte nur die am Dienstagabend veröffentlichte Pressemitteilung, wonach die BKK ProVita sich von ihrem Vorsitzenden Andreas Schöfbeck mit „sofortiger Wirkung“ trenne und in der sie um Verständnis bittet, dass man sich „zu den verschiedenen Hintergründen dieser Personalentscheidung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht weiter äußern“ werde.

Telegram: Nach Schöfbecks Entlassung große Auregung in Querdenker-Gruppen

In Querdenker-Gruppen des Messenger-Dienstes Telegram findet die Entlassung des ehemaligen Vorsitzenden Andreas Schöfbeck große Aufmerksamkeit. Der Tenor: Weil der Vorsitzende einer Krankenkasse unangenehme Fragen gestellt habe, mache „das System“ ihn nun mundtot. So heißt es dort beispielsweise in einem von tausenden Kommentaren: „Das dachte ich mir schon, dass dieser mutige Mensch abgesägt wird. Wenn er sich seiner Sache nicht sicher gewesen wäre, dann hätte er geschwiegen.“

Es ist nicht das erste Mal, das Schöfbeck mit bekannten Impfgegnern in Erscheinung tritt. Für das Buch „Corona-Impfstoffe – Rettung oder Risiko” von Clemens Arvay schreibt der damals noch Krankenkassenvorsitzende im Januar 2021 das Vorwort. Darin stellt er in Frage, ob es „ausreichend Studien zur Wirksamkeit und Nebenwirkungen” gäbe und ob es zu verantworten sei, „so viele Menschen, ohne die Erfahrungen von Langzeitstudien zu impfen” – Fragen, die auch immer wieder von Querdenkern aufgeworfen werden.

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    Bericht löste Kritik aus: „Peinliches Unwissen oder hinterlistige Täuschungsabsicht“

    Zum Hintergrund: Vergangene Woche sorgte die gesetzliche Krankenkasse BKK ProVita mit einem offenen Brief an das Paul-Ehrlich-Institut für Schlagzeilen. Die Kasse, die eigenen Angaben zufolge etwa 125.000 Versicherte hat, habe Abrechnungsdaten von Ärzten aller bei den Betriebskrankenkassen versicherten Patienten ausgewertet. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, so die Kasse, dass wohl bis zu drei Millionen Menschen in Deutschland „wegen Impfnebenwirkungen nach Corona-Impfung in ärztlicher Behandlung gewesen" sein könnten. Sie veröffentlicht den Brief, der unter anderem auch an die Bundesärztekammer und die Ständige Impfkommission geschickt worden sein soll, auf ihrer Webseite und spricht darin von einem erheblichen „Alarmsignal“, eine Gefahr für das Leben von Menschen könne nicht ausgeschlossen werden.

    Dass die zugrundeliegende Datenanalyse mehr als fragwürdig ist, wurde schnell bekannt. So äußerte unter anderem der Bundesvorsitzende des Verbands der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund), Dr. Dirk Heinrich, in einer Pressemitteilung scharfe Kritik: „Peinliches Unwissen oder hinterlistige Täuschungsabsicht – was davon den Vorstand der BKK ProVita bewogen hat, vor angeblichen Alarmzahlen bei Impfkomplikationen zu warnen, weiß ich nicht. Die Schlussfolgerungen aus der Datenlage sind jedenfalls kompletter Unfug“.

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