Schlafmediziner im Interview: Warum zuckt man beim Einschlafen?

Ein starkes Zucken, das Betroffene aus einem Zustand kurz vor dem Einschlafen schlagartig in den Wachzustand zurückholt, kennen viele Menschen.

Die Ursachen dafür sind aber weitgehend unbekannt – warum zuckt man in dieser Phase der Entspannung so heftig und wie kann man das Zucken vermeiden?

FIT FOR FUN hat mit Schlafmediziner Dr. Michael Feld gesprochen, um diesen Fragen auf den Grund zu gehen.
 

Unklare Studienlage: Bisher kaum nennenswerte Erkenntnisse

Im englischen Fachjargon wird das Zucken vor dem Einschlafen als „Hypnic Jerks“ oder „Sleep Start“ bezeichnet. Hierzu gibt es nur wenige Studien, die zudem kaum als repräsentativ gewertet werden können.

  • 2013 wurde das Schlafverhalten von zehn Probanden mittels einer Schlafstudie beobachtet und untersucht. Die Studie kam jedoch lediglich zu dem Ergebnis, dass das Zucken vor dem Einschlafen ein physiologisches Phänomen mit unterschiedlichen Subtypen sei.
  • Eine qualitative Untersuchung mit nur zwei Probanden kam bereits 1998 zu einem ähnlichen Ergebnis. Stress, Erschöpfung und Schlafmangel könnten mögliche Auslöser der Zuckungen sein, hieß es damals. Zusätzlich wurde die Gesundheitshistorie der Familie einer Betroffenen unter die Lupe genommen. Auffälligkeiten im Zusammenhang mit den Zuckungen konnten jedoch nicht festgestellt werden.
  • In einer Studie mit Parkinson-Patienten konnte festgestellt werden, dass die Zuckungen vor dem Einschlafen in dieser Personengruppe mit besonderer Häufigkeit auftreten. Doch weder dazu, welche Muskelgruppen am häufigsten betroffen sind, noch zu irgendwelchen anderen Regelmäßigkeiten der Hypnic Jerks konnten Erkenntnisse gewonnen werden.

Einschlafzuckungen gelten als weitverbreitet

Dies ist besonders unter dem Aspekt verwunderlich, dass weit mehr als die Hälfte aller Menschen Einschlafzuckungen erlebt. Doch auch über diese genaue Lebenszeitprävalenz herrscht Uneinigkeit. 

Grundsätzlich gehen Expertinnen und Experten von einer Lebenszeitprävalenz von 60 bis 70 Prozent aus. Das bedeutet, dass so viel Prozent aller Menschen mindestens einmal im Leben von den Einschlafzuckungen betroffen sind.

Professor Eckart Rüther vom Schlafmedizinischen Zentrum München spricht im Interview mit dem Nachrichtenmagazin ‚Spiegel‘ sogar von einer Lebenszeitprävalenz von 90 Prozent.

Das Zucken muss nämlich nicht immer bemerkt werden. Zum Beispiel wenn man direkt im Anschluss direkt wieder einschläft oder hiervon nicht oder nur sehr kurz erwacht.
 

Zuckungen in der Übergangsphase sind harmlos

Schlafmediziner Dr. Michael Feld klärt auf über das Entstehen und die Ursache von Einschlafzuckungen. Zunächst gibt er Entwarnung: Das Zucken während des Übergangs von der Wach- in die Schlafphase sei „völlig normal“.

Hierbei handele es sich um die Entladung von Muskelspannungen. Bei einigen Menschen seien diese ausgeprägter als bei anderen, weshalb die Zuckungen hier stärker ausfallen können. Dies sei jedoch kein Grund zur Beunruhigung.
 

Schutzreflex: Das Zucken könnte Überbleibsel der Vorzeit sein

Der Einschlafprozess erfolgt in mehreren Stufen. Der Organismus fährt herunter, während die Muskeln noch leicht angespannt sind. Teile des Gehirns können noch aktiv sein, während der Rest des Körpers schon inaktiv ist.

Der Psychologe Ian Oswald von der Universität Oxford vermutete daher, das Gehirn könne das Erschlaffen der Muskeln als Kontrollverlust deuten und das Zucken sei eine ruckartige Korrektur des Körperzustandes.

In eine ähnliche Richtung zielt auch der Erklärungsversuch ab, es handele sich um einen vorzeitlichen Primatenreflex. Dieser Theorie zufolge rührt das Zucken daher, den Affen auf dem Baum durch ein Zucken aufzuwecken, wenn er Gefahr läuft, abzustürzen.

Dies würde auch zu der geläufigen Aussage von Betroffenen passen, das Zucken würde mit einem Gefühl des Fallens einhergehen.
 

Zuckungen während der Tiefschlafphase

Neben den harmlosen Einschlafzuckungen gibt es auch das Zucken während der Nacht. Dieses kann, da es die Tiefschlafphase unterbricht, ernstzunehmende Folgen haben.

Das nächtliche Zucken kann genetische oder neurologische Ursachen haben und auf eine Störung hindeuten.

Grundsätzlich sollte man einen Arzt aufsuchen, wenn die Zuckungen den Schlaf auf Dauer stören. Denn „Schlafmangel macht krank“, warnt Schlafexperte Feld.
 

Zucken bedingt durch chronischen Stress

Psychische Anspannung kann sich in Form von Zuckungen entladen. Diese Zuckungen sind dann deutlich heftiger als die geläufigen Einschlafzuckungen.

Wer unter stressbedingten Einschlafzuckungen leidet, sollte seinen Koffein- und Tabakkonsum einschränken. Auch das Einnehmen von Stimulanzien oder Drogen kann sich negativ auf das Einschlafverhalten auswirken.
 

Panik- oder Angststörungen als Ursache

Zu einer Überspannung kann es auch in Folge von Panik- oder Angststörungen kommen. Das Zucken gleicht dann mehr einem nächtlichen Hochschrecken und geht häufig mit dem Gefühl oder der Furcht, in ein Loch zu fallen, einher.

Dies – so der Schlafmediziner – sei etwas ganz anderes als Einschlafzuckungen und gehöre nicht zur Norm.
 

Schlafapnoe

Zuckungen können auch im Sinne einer Alarmreaktion auftreten. Sie haben dann konkret zum Ziel, den Betroffenen oder die Betroffene aufzuwecken, zum Beispiel bei einer Schlafapnoe. Bei einer solchen kann es zu Atemaussetzern kommen.

Das Zucken wird demnach ausgelöst, um den Körper zu alarmieren und die Atmung zu reaktivieren. Im Unterschied zu den Hypnic Jerks treten diese Zuckungen meist im Laufe des Schlafes auf, nicht in der Übergangsphase.
 

Restless Leg Syndrome

Auch periodische Extremitätenbewegungen bei Nacht (Restless Leg Syndrome) können zum Zucken führen. Sie sind dann die häufige Folge eines zu niedrigen Eisenspiegels.

Bei einem Wert unter 50ml/dl spricht der Experte von einem niedrigen Ferritinspiegel.
 

Lebensweise hat kaum Einfluss

Im Zweifel, ob es sich bei dem Zucken um etwas Ernsthaftes handelt, kann eine schlafmedizinische Untersuchung helfen. Untersuchungen können Aufklärung über die Natur der Zuckungen geben und klären, ob diese pathologisch sind oder nicht.

Einen Anlass, mit Einschlafzuckungen zum Arzt zu gehen, gebe es in der Regel laut Dr. Feld jedoch nur, wenn den Betroffenen hierdurch ein Leidensdruck entsteht.

Wenn das Einschlafen zum Beispiel regelmäßig erschwert wird oder die Partnerin bzw. der Partner sich zunehmend gestört fühlt.

Die eigene Lebensweise zu überdenken, kann im Falle von stressbedingten Einschlafzuckungen sinnvoll sein. Meist ist diese jedoch nicht verantwortlich für das Zucken, so der Schlafmediziner.

Dauerhafter Schlafmangel hingegen kann sich in vielerlei Schlafstörungen äußern.

„Entspannungstrainings – wie die Muskelentspannung nach Jakobsen – können helfen, die Körperspannung insgesamt etwas zurückzuführen.“

Und auch Melatonin kann für leichteres Einschlafen sorgen. Niedrig dosiert ist dieses mittlerweile frei erhältlich.
 

Quellen

  • Chokroverty, S. et al. (2013): Intensified Hypnic Jerks: A Polysomnographic and Polymyographic Analysis, abgerufen am 20.12.2020: https://journals.lww.com/clinicalneurophys/Abstract/2013/08000/Intensified_Hypnic_Jerks___A_Polysomnographic_and.14.aspx
  • Oswald, I. (1959): SUDDEN BODILY JERKS ON FALLING ASLEEP, abgerufen am 20.12.2020: https://academic.oup.com/brain/article-abstract/82/1/92/312427?redirectedFrom=fulltext
  • Sander, H. et al. (1998): Sensory sleep starts, abgerufen am 20.12.2020: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2170079/pdf/v064p00690.pdf
  • Chiaro, G. et al. (2016): Hypnic jerks are an underestimated sleep motor phenomenon in patients with parkinsonism. A video-polysomnographic and neurophysiological study, abgerufen am 20.12.2020: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1389945716301198

Kimberly Papenthin

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