Hirnschrittmacher für Parkinson-Patienten: „Nach der Schädel-OP sind Zittern und andere Symptome wie weggezaubert“
Max Gruber hat Parkinson. Telefonieren, PC-Arbeit, selbstständig essen und anziehen – unmöglich. Medikamente halfen wenig, erst die Operation brachte jetzt die Lebensqualität zurück. Wie Max diesen aufwändigen Eingriff erlebte und wie er anderen Parkinson-Betroffenen Mut machen möchte.
Noch vor einer Woche litt Max Gruber (Name geändert) stark unter den Symptomen seiner Parkinson-Erkrankung. Linker Arm und Fuß zitterten stark. Dazu die Steifigkeit in Nacken, Händen und Füßen, die Unsicherheit bei jeder Bewegung. Selbstständig anziehen ging nicht mehr, nicht normal essen, telefonieren. Nicht auf dem Handy schreiben und am PC arbeiten, was für den ehemaligen Banker besonders schlimm war. Auch seine geliebte Hobbies Fotografieren und Filmen sowie die umfangreiche Münzsammlung pflegen wurden unmöglich. Das galt auch für seinen handwerklichen Fähigkeiten, dem früher so selbstverständlichen Reparieren, etwa wenn der Wasserhahn kaputt war. Seine Lebensqualität war im Keller.
Heute sind all diese Beschwerden weg. „Als wenn eine Zauberhand alles weggewischt hätte“, beschreibt das Max. Die „Zauberhand“ ist ein so genannter Gehirnschrittmacher. Diese invasive Therapie nennt sich tiefe Hirnstimulation (THS) oder Deep Brain Stimulation (DBS). Millimetergenau werden dabei Elektroden dauerhaft in bestimmten, tiefen Regionen im Gehirn platziert. Über diese Elektroden sendet ein Impulsgeber, der Schrittmacher, fein justierte elektrische Signale. Diese Impulse können die bei Parkinson gestörte Koordination der Bewegungen wieder besser in Balance bringen. Das bedeutet zwar keine Heilung, aber eine starke Milderung der Symptome – wie Max Gruber das jetzt erleben darf.
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Den aufwändigen Eingriff selbst beschreibt der Patient ganz pragmatisch. Vor der Operation wurde er zweimal gefragt, ob er während des Eingriffs geweckt werden möchte, damit die Sonden auch an der exakt richtigen Stelle eingesetzt werden können, „selbstverständlich, unbedingt“, bejahte er. Dann erhielt er eine Vollnarkose und die Ärzte fixierten seinen Kopf mit einer Eisenkrone. Sie wird mit dem Schädel verschraubt und verhindert auch die kleinste Bewegung.
Die Fixierung ist nötig, damit Chirurg und Neurologe punktgenau arbeiten können. Über zwei kleine Hautschnitte wurde der Schädel rechts und links aufgebohrt. Durch diese etwa 0,5 Millimeter großen Löcher führten die Ärzte zwei Testsonden ein. Ziel waren unter MRT bestimmte Koordinatenpunkte. Nun wurde Max aufgeweckt, damit die Sonden zielgenau an den richtigen Stellen positioniert werden.
Das funktioniert nämlich am besten dann, wenn der Patient munter ist. Dann setzt das Zittern ein. Unbewusst konzentrieren sich die meisten aber dann in dieser Stresssituation auf das Zittern, was den Tremor leider etwas unterdrückt. Wird der Patient jedoch abgelenkt, setzt das Zittern voll ein. So kann der Arzt die Sonden passend einsetzen und die Bewegungsstörung nimmt ab, wenn die Elektroden richtig positioniert sind.
Um abgelenkt zu sein sollte Max ausgehend von 100 in Siebenerschritten rückwärts zählen: 100, 93, 86, 79… Weil er mathematisch sehr schnell denkt und solche Übungen sozusagen auch im Schlaf beherrscht, funktionierte das mit der Ablenkung nicht. Deshalb sollte er lange Wörter rückwärts buchstabieren. Mit diesem Trick setzte das Zittern ein.
Die Testsonden wurden probeweise platziert. Nachdem die richtigen Stellen gefunden waren, wurden die feinen Drähte gezogen. Das schmerzte extrem. „Aber da darf man nicht so empfindlich sein – wenn einem geholfen wird, dann muss man dankbar sein“, sagt Max Gruber. Der Anästhesist betäubte den Bereich der Bohrstellen zusätzlich nochmals lokal. So konnten die bleibenden Stimulationselektroden eingesetzt werden.
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Nun implantierten die Ärzte noch den eigentlichen Impulsgeber unter das Schlüsselbein. Der batteriebetriebene Hirnschrittmacher ist ein rund 5 Zentimeter kleines Kästchen. Um ihn mit den Elektroden zu verbinden, wurden dünne Kabel unter der Haut von der rechten zur linken Schädelöffnung und von dort zusammen zum Impulsgeber verlegt.
Der gesamte Eingriff brauchte rund acht Stunden und als Max danach aufwachte, fühlte er sich sofort besser, seine Parkinson-Symptome waren verschwunden. Er hatte nicht einmal Kopfschmerzen. Am nächsten Tag erhielt er einen kleinen Handsender, der wie eine Fernsteuerung mit dem Schrittmacher verbunden ist. Mit ihm lässt sich die Stromstärke regulieren. Batteriewechsel und damit alle paar Jahre wieder unterm Schlüsselbein die Haut aufschneiden ist übrigens nicht nötig: Das Gerät enthält Akkus, die sich induktiv laden lassen. Dafür wird das Ladegerät nur von außen auf den Schrittmacher gelegt. „Das ist für mich sehr positiv, denn jedes Aufschneiden für einen Batteriewechsel ist auch wieder eine Infektionsquelle – und außerdem werde ich ja auch nicht jünger“, betont er.
Der Erfolg dieser Operation ist überwältigend für ihn, „es ist wie ein neues Leben, an das Zittern vorher kann ich mich gar nicht mehr erinnern, das ist alles wie weggeblasen“, freut er sich. Doch um sich für den aufwändigen Eingriff zu entscheiden, braucht es auch unbestritten viel Mut. Den Kopf über Stunden fixieren, den Schädel aufbohren, Elektroden bei vollem Bewusstsein in tiefen Hirnbereichen platzieren. Verständlich, dass viele Parkinson-Patienten bei dieser Vorstellung zurückschrecken.
Wie hat es Max geschafft, sich für diesen Schritt zu entscheiden? „Um das nachzuvollziehen, muss man realistisch sehen, was es für den Betroffenen bedeutet, Parkinson zu haben“, erklärt Max Gruber und berichtet von seiner Erkrankung – vom Anfang bis zum neuen Leben mit dem Hirnschrittmacher.
Schon mit Anfang 50 zitterte Max Grubers Hand manchmal leicht, er nahm das nicht ernst. Bei einer Reihenuntersuchung an seiner Arbeitsstelle riet ihm die Ärztin, das Zittern unbedingt abklären zu lassen. Doch der Besuch beim Neurologen blieb ohne richtiges Ergebnis. Das liegt schon 16 Jahre zurück.
Zehn Jahre später, das leichte Zittern war geblieben, störte aber wenig, konnte Max auf einmal seinen Arm nicht mehr heben – nachdem er körperlich gearbeitet hatte. Er hatte am Wochenende seinem Sohn beim Hausbau geholfen. Die rätselhafte Lähmung verschwand wieder. Doch langsam verstärkte sich das Zittern, dazu kam Steifigkeit, also die für Parkinson typische motorische Symptome. „Trotzdem lässt sich darüber nicht eindeutig Parkinson bestimmten, es gibt unzählige Symptome und jede Parkinsonerkrankung ist anders,“ stellt er klar. Für alle trifft jedoch zu, dass sie die Lebensqualität sehr stark einschränken und sich der Zustand sogar mit den Jahren noch verschlechtert.
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Max versuchte, sich Hilfe zu holen, war beim Osteopathen, bei Heilpraktikern, doch die Beschwerden verstärkten sich noch. Eine „Ausleitungstherapie“ brachte ihn dann ans Ende seiner Kräfte. Der schon vorher schlanke Mann nahm stark ab, das Zittern und die Steifigkeit waren massiv.
Sein Sohn, ein Physiotherapeut, hatte dann den richtigen Tipp: Weil einer seiner Patienten Parkinson hatte, mit ganz ähnlichen Beschwerden wie Max, riet er dem Vater zu einem Termin beim behandelnden Neurologen seines Patienten. Der führte mit Max einen DaTSCAN durch. Das ist eine Kopf-Szintigrafie, die Aufnahmen liefert über die Funktionsfähigkeit spezieller Nervenverbindungen, gemeint sind Dopamin-Transporter, in tiefen Hirnbereichen.
Bei Parkinson sterben nämlich die Dopamin produzierenden Nervenzellen im Gehirn ab. Dopamin ist ein dämpfende Botenstoff, der unter anderem die Arbeit der Muskeln steuert und ermöglicht, dass sich Bewegungen kontrolliert ausführen lassen. Dopaminmangel führt deshalb nicht nur zu unkontrollierten Bewegungen, sondern auch zur Hyperaktivität bestimmter Hirnbereiche. Die für Parkinson typische Schüttellähmung entsteht. Allerdings ist noch unklar, warum diese Zellen absterben und ob nicht noch weitere Faktoren bei der Entstehung von Parkinson beteiligt sind. Denn vor allem über die Ursachen ist bei Parkinson, dieser chronisch fortschreitenden, neurodegenerative Erkrankung nicht alles bekannt – obwohl mehr als 300.000 Menschen in Deutschland betroffen sind.
Weil die Aufnahmen der Szintigrafie den Verdacht Parkinson erhärteten,, schickte der Arzt Max zu einem anderen Neurologen an einer Klinik. Weitere Tests und Untersuchungen folgten. Und erst dort, also 16 Jahre nach dem ersten Frühsymtom, stand die Diagnose fest: Parkinson. Das war für Max Gruber zwar ein Schock, doch wenigstens wusste er nun, um welche Krankheit es sich handelte, was sein Leben so stark einschränkte.
Max bekam Parkinsonmedikamente, die den Dopaminspiegel anheben, sowie weitere, im Rahmen einer Studie. „Allerdings waren die Nebenwirkungen sehr stark“, berichtet er. Das Zittern ließ zwar etwas nach, doch er wurde so müde, dass er sich hinlegen musste. Danach hatte er dann immer extreme Schweißausbrüche, Durchfall und nach zwei Stunden wirkten die Medikamente bereits nicht mehr. Der Leidensdruck wurde immens.
Sein Neurologe sprach mit ihm über die Möglichkeit eines Hirnschrittmachers, weil diese Technik motorische Symptome deutlich verbessern kann. Er empfahl ihm Jens Volkmann. Der Professor ist Klinikleiter der Neurologie am Uniklinikum Würzburg. Nach einer ausführlichen Beratung führte der Experte die entsprechenden Voruntersuchungen des Gehirns durch und nach wenigen Monaten Wartezeit wurde Max dann vom neurochirurgischen Team in Würzburg operiert. Voraussetzung bei der tiefen Hirnstimulation ist ein interdisziplinäres Team aus Neurologen Neurochirurgen, Neuropsychologen, Sprachtherapeuten, Pfleger in der postooperativen Rehabilitation und weitere.
Und gerade weil die Operation so erfolgreich war und dank des Hirnschrittmachers sein Leben wieder so lebenswert ist, möchte Max Gruber das weitergeben: „Ich will anderen Betroffenen Mut machen, keine Angst zu haben vor dieser Operation, und das große Geschenk dieser Therapie deutlich machen.“ Und bitte nicht zu lange warten und frühzeitig zum Neurologen gehen, legt er noch ans Herz. Die Behandlung sollte also rasch starten. Denn je länger Parkinsonbeschwerden anhalten, umso mehr baut der Patient ab.
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Wie geht es jetzt für Max Gruber weiter? Er nimmt zwar weiterhin etwas Dopamin ein, aber nicht mal die Hälfte von früher, die Nebenwirkungen sind minimal. Tabletten plus Reizung durch die Elektroden vermitteln dem Gehirn: Dopaminspiegel ist okay, alles unter Kontrolle und in Balance.
Den Hobbies steht dadurch nichts mehr im Wege. Und auch seine handwerklichen Fähigkeiten kann er wieder einsetzen, ganz abgesehen von normal essen, anziehen, telefonieren…
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